Samstag, 3. Oktober 2009

Und dann gibt es diese Begnungen die dich sprachlos machen...

Als ich letztes Jahr in dieser Klinik arbeitete lernte ich viel Menschen kennen. Leider sind mir nur wenige, der in die Jahre gekommenen Patienten, in Erinnerung geblieben.
An eine ältere Dame erinnere ich mich aber noch sehr gut. Sie war einer dieser typischen Großmütterchen, mit schneeweißem Lockenkopf, den Sie jeden Donnerstag bei dem Friseur, zu dem Sie schon seit Jahren geht, zurecht föhnen ließ. Sie hatte tiefe blaue Augen und ihre dünne Haut war trotz der Falten sehr weich.
An den Wochenenden wenn auf Station so gut wie nichts zu tun war, schob ich Sie manchmal in ihrem Rollstuhl auf die Terrasse und Sie erzählte mir ein paar Geschichten, deren Wahrheitsgehalt ich einige Male anzweifelte. Trotzdem hörte ich Ihr gerne zu. Sie wollte mich nie belehren oder mir irgendwelche Weisheiten mit auf den Weg geben. Sie wollte einfach nur erzählen.
Die Geschichten habe ich nicht mehr wirklich in Erinnerung, nur an die von der Begegnung mit ihrem verstorbenen Ehemann kann ich mich noch teilweise erinnern.
Sie haben sich damals in einem Hotel, in dem sie beide ein paar Tage verbrachten, kennengelernt. Und er setzte sich morgens einfach zu ihr an den Frühstückstisch. Alles weitere ist ziemlich romantisch und für die damalige Zeit eher untypisch, aber ich erwähnte bereits, dass ich mehrmals am Wahrheitsgehalt zweifelte.
Der Satz der mir in Erinnerung blieb, war folgender: "Man lernt in seinem Leben viele Menschen kennen und in dem man mit ihnen spricht, werden sie mehr oder weniger Teil deines Lebens und lassen dich an ihrem teilhaben. Und dann gibt diese Begegnungen die dich sprachlos machen. Auch wenn du nichts mehr sagen kannst und nichts mehr hören möchtest, weißt du genau dass dieser Mensch nun ewig in deinem Leben verweilen wird..." - Und ob die gute Frau das nun beabsichtigte oder nicht, aber sie hat mir damit etwas mit auf den Weg gegeben...

Wenn ich in meinem Leben nach solchen Begegnungen suche, finde ich ehrlich gesagt niemanden, der mich zu Beginn sprachlos gemacht hätte. Die Menschen an die ich in diesem Augenblick denke, lassen mich im Alltag einen Moment inne halten und sorgen dafür, dass ich grinsen muss, wenn ich zufällig mal wieder an sie denke. Und das ist es, was mich hin und wieder sprachlos macht.

Einer dieser Menschen ist der erste wirkliche gute Freund den ich hatte. Wir kennen uns nun seit der fünften Klasse und das sind schon fast elf Jahre. Wir hatten damals den gleichen Schulweg, den wir morgens und mittags zusammen gingen. Immer relativ rasch und nur über die Schule sprechend. Doch mit den Jahren wurden die Schulwege länger, weil wir Pausen einlegten um zu rauchen und die Themen wurden andere, schließlich hatten wir inzwischen den gleichen Freundeskreis und erlebten auch außerhalb der Schulwege sehr viel zusammen.
Am Ende der Pubertät, die wir gemeinsam durchstanden, fühlten wir uns beide alleine und da war es für uns das naheliegendste, von nun an mehr als Freunde zu sein. War ja nichts dabei und was jahrelang so gut ging, konnte als vermeintliche "Beziehung" ja nur umso besser werden.
Das ganze hielt ca. zwei Wochen. Er konnte nicht damit umgehen und ich wollte zu krampfhaft damit umgehen können.
Wenn wir uns heute sehen, haben wir uns viel zu erzählen. Wir sind nicht mehr ein Teil des Lebens des anderen, wie wir es jahrelang waren. Aber den Geschichten, von mir unbekannten Menschen und Erlebnissen, lausche ich doch sehr gerne. An unsere erste Begegnung erinnere ich mich nicht, aber es sind im nachhinein viele kleine gemeinsame Momente, die mich heute sprachlos machen.

Ich habe seit der Teeniezeit keine "besten" Freunde mehr. Es gibt jetzt vielmehr Menschen mit denen ich mehr Zeit verbringe und mit denen ich mich eben intensiver beschäftige als mit anderen. Dennoch pflege ich mit jedem meiner Freunde eine besondere Beziehung, die alle so unterschiedlich sind und mir so etwas wie eine "Rangfolge" einfach nicht erlauben.

Jemand der mich sehr beeindruckt hat, sitzt gerade in Spanien und lässt sich mehr oder weniger, für ein Semester, die spanische Sonne auf den Pelz brennen.
Diese Frau ist für mich ein kleines Phänomen. Es gab in Ihrem Leben wohl einige Schicksalsschläge und über den einen, den wohl schlimmsten, spricht Sie nie.
Nach außen hin ist sie wohl einer der stärksten Menschen die ich kenne und tut alles dafür, diese Fassade aufrecht zu erhalten. Sie meistert ihr Leben scheinbar mit Bravur und scheitert wenn dann nur an sich selber.
Was mich wohl derart an sie bindet ist die Tatsache, dass ich, auch wenn nicht allzu oft, diese Fassade der glücklichen Lebenskünstlerin, hab bröckeln sehen.
Es erschreckt mich nicht, es macht mich traurig, dass gerade Sie einer dieser Menschen ist, die so viel Halt finden könnten und trotzdem darauf bestehen keinen zu brauchen. Ich kann ihr nicht wirklich helfen und das obwohl sie schon so oft geholfen hat, neuen Zement für meine Mauer zu mischen und ein paar kleine Fenster einzubauen.
An unsere erste Begegnung kann ich mich erinnern und ich war keineswegs sprachlos. Im Gegenteil. Ich war jung, laut und Sie mochte mich nicht. Wann genau der Moment kam, von wo an wir wussten, dass das mit uns sich so entwickeln würde, muss wohl einer gewesen sein, in dem wir zusammen schweigen konnten und das sind bekanntlich die wertvollsten.

Den Zeitpunkt an dem wir beschlossen haben, Freunde zu werden, haben wir wohl schlichtweg vergessen. Oder der Übergang war so fließend, dass es einfach nicht mehr ersichtlich ist.
Die erste Erinnerung ist die, an ungefähr ein Päckchen Zigaretten, kalten Steinboden und das Gefühl sich alles erzählen zu können und ehrliche Antworten zu erhalten. Ich kenne keinen Menschen der mich auf so eine Weise dazu bringt, über mich selbst nachzudenken und er tut es einfach immer wieder und das schon seit Jahren. Mittlerweile trennen uns, wenn auch nur räumlich, 230 Kilometer. Und doch ist jedes Mal, wenn ich in meine alte Heimatstadt zurückfahre so, als wäre ich nie fort gewesen.
Es sind die extrem langen Abende in der Stammkneipe, die vielen kleinen gemeinsamen Geheimnisse und die sehr oft erschreckend gleichen Ansichten, die mich sprachlos machen, wenn ich an Ihn denke. Es gibt wohl keinen Menschen für den mich mehr freue, wenn er mir erzählt, das ihm Gutes wiederfahren ist. Und ich weiß dass es bei Ihm genauso ist.

Wie ich Sie kennengelernt habe weiß ich ganz genau, es ist ja auch noch nicht so lange her und es geschah auf eine Art und Weise die für mich recht untypisch ist.
Ich weiß noch genau wie Sie vor ungefähr einem Jahr auf mich zu kam. Unser erstes treffen. Und bei Ihr war ich wirklich wohl einen Moment sprachlos, weil sie mich gleich in den Arm nahm und mich begrüßte als würden wir uns schon ewig kennen.
Als wir dann in dem Kaffee saßen, über die selben Dinge lachten, war mir klar dass es funktionieren würde und das innerhalb einer Stunde.
Also zogen wir zusammen. Es ist nicht schwer ersichtlich wie unterschiedlich wir sind. Allein optisch besteht daran schon kein Zweifel. Doch in dem letzten Jahr sind mir viele Dinge aufgefallen, die wir gemeinsam haben und dass wir uns teilweise erschreckend ähneln. Genau das ist der Grund warum ich Sie manchmal derart verfluche, weil sie in der kurzen Zeit gelernt hat in mich reinzusehen und leider weiß sie viel zu oft was in mir vorgeht, auch wenn es Ihr selber nicht immer bewusst ist.
Sie gehört zu den Menschen, die nicht wissen wie sie wirken können und was sie allein durch kleine Gesten, unbedachte Worte in Menschen zu bewirken vermögen . Ich kann schon garnicht mehr zählen, wie oft sie mich in dem letzten Jahr, unbeabsichtigt hinter meiner Mauer hervorgeholt hat.
Ich kann diese große fremde Stadt mein zu Hause nennen, was wohl zum größten Teil ihr Verdienst ist.
Wenn wir gemeinsam im Schlafanzug in unserer Küche sitzen und drei Liter Kaffee trinken, könnte die Welt nicht schöner sein.
Ich begegne Ihr jeden Tag, was bei ca. 50 Quadratmetern wohl nicht zu vermeiden ist. Ich kenne Sie und doch macht Sie mich jedes Mal sprachlos, wenn es mal wieder besonders schlimm ist und sie meine Hand nimmt und sagt, dass wir das gemeinsam schon hinkriegen.

Natürlich gibt es noch viel mehr Menschen die für mich so etwas wie "sprachraubende Begegnungen " darstellen. Für mich sind sie allesamt kostbar. Gerade in meinem jetzigen Leben bin ich froh, wenn ich die Gelegenheit bekomme, einfach mal die Klappe zu halten und an die Begegnungen zu denken, die mir heute von Zeit zu Zeit ein stummes Lächeln auf´s Gesicht zaubern.




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